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Der Begegnungstag vom 26. Juni 2004
"Das sind auch Reformierte"
Tagung über die "Reformation und die Täufer" in Zürich
Artikel aus der Reformierten Presse 27/2004 von Stephan Landis
An einem "Täufertag", der von der reformierten Zürcher Kirche im Rahmen des Bullinger-Jubiläums veranstaltet wurde, haben rund 300 Gäste teilgenommem, darunter viele Mennoniten aus aller Welt. Im Vordergrund standen angesichts einer Geschichte von Entfremdung und Verfolgung einerseits Versöhnungsgesten, anderseits die inhaltliche Diskussion von Gemeinsamkeiten und Differenzen.
"Wir sind also nicht Wiedertäufer und haben mit ihnen rein nichts gemein", hat Bullinger im Zweiten Helvetischen Bekenntnis 1566 formuliert.
"Hier irrt Heinrich Bullinger, historisch und theologisch", kommentiert der Zürcher Kirchenratspräsident Ruedi Reich heute, auch im Blick auf eine lange Geschichte von Entfremdung und Verfolgung, für die Bullinger und die reformierten Kirchen überhaupt Mitverantwortung tragen.
Dazu ein Bild, irritierend und anrührend zugleich: Hoch über dem Choraufgang des Grossmünsters hängt als Teil der laufenden Bullinger-Ausstellung das Porträt des Reformators als Prediger. Darunter versammelt sich ein mennonitischer Ad-hoc-Chor und singt ein altes Lied aus jener Tradition, an der die Täufer durch Jahrhunderte der Unterdrückung hartnäckig festgehalten haben.
Etwa 300 Besucherinnen und Besucher, viele davon Mennoniten aus der Schweiz, aus Europa und Übersee, haben am letzten Samstag an der Tagung "Die Reformation und die Täufer" teilgenommen, welche die reformierte Zürcher Kirche im Rahmen des Bullinger-Jubiläumsjahres organisierte. Unter den Gästen aus Übersee befand sich auch ein Nachkomme von Hans Landis, der als letzter von sieben Zürcher Täuferführern 1614 hingerichtet worden ist.
Schritte zur Versöhnung
"Schritte zur Versöhnung" bildeten unter diesen Vorzeichen einen erklärten Schwerpunkt der Zürcher Tagung. Es sind nicht die ersten Schritte; seit dem Abbau der staatlichen Repression im Gefolge von Aufklärung und Pietismus hat es da und dort auch theologische und kirchliche Kontakte mit Täufern gegeben, etwa im Zusammenhang mit den mennonitischen Weltkonferenzen von 1925 und 1952 in Basel. 1983 haben die Zürcher Reformierten bei einem Gedenkgottesdienst zum Abschluss eines zehnjährigen Dialogs mit den Baptisten, zu dem auch Mennoniten eingeladen waren, um Vergebung für die frühere Verfolgung gebeten.
Am letzten Samstag standen zwei symbolische Gesten im Vordergrund: einerseits ein Bekenntnis der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Zürich, vorgetragen von Ruedi Reich im Rahmen eines gemeinsamen Gottesdienstes im Grossmünster: "Wir bekennen, dass die damalige Verfolgung nach unserer heutigen Überzeugung ein Verrat am Evangelium war und unsere reformierten Väter in diesem Punkt geirrt haben." Das Urteil des Zweiten Helvetischen Bekenntnisses, das die Lehren der Täufer als unbiblisch verwirft, gelte für die Zürcher Reformierten nicht mehr. Man anerkenne die Gläubigen der täuferischen Tradition als Schwestern und Brüder, ihre Gemeinden als Teil des Leibes Christi, man achte "den radikalen Ansatz der Täuferbewegung, als eine freie Gemeinschaft von entschiedenen Gläubigen Salz der Erde und Licht der Welt zu sein und die Botschaft der Bergpredigt konkret umzusetzen". Es sei an der Zeit, die Geschichte der Täuferbewegung als Teil der eigenen Geschichte zu akzeptieren, von der täuferischen Tradition zu lernen und im Dialog mit den täuferischen Gemeinden das gemeinsame Zeugnis des Evangeliums zu verstärken.
Dank der Mennoniten
Im Namen der Konferenz der Mennoniten der Schweiz dankte der Präsident von deren Ältestenrat, Ernest Geiser, für dieses Bekenntnis. "Wir möchten es im Geist der Vergebung annehmen." In der heutigen Zeit gebe es für die Schweizer Mennoniten "keine Kirche mehr, der wir uns entgegenstellen müssen, und ihr habt keine Gläubigen mehr, die gewaltsam integriert werden müssen". Auch von mennonitischer Seite aus wünsche man sich einen längerfristigen Dialog.
Als zweite Versöhnungsgeste wurde im Rahmen der Tagung eine Gedenktafel an der Stelle enthüllt, wo 1527 Felix Manz als erster Täufer in der Limmat ertränkt wurde. 1952 war der Plan für eine solche Tafel noch am Einspruch des Zürcher Stadtrates gescheitert. Am Samstag meinte Robert Neukomm als Vertreter der heutigen Stadtregierung, die Weigerung seiner Amtsvorgänger sei heute fast nicht mehr nachvollziehbar. Wie Ruedi Reich, der sich hier ein zweites Mal an die Mennoniten wandte, bat Neukomm um Vergebung für die Hinrichtung der sieben Täuferführer und auch für die weitere Verfolgung und Vertreibung der Täufer (die Schweizer Mennoniten sind heute in der Region Zürich nicht mehr vertreten).
Inhaltliche Auseinandersetzung
Dass solche Versöhnungsgesten nicht auf einen Schlag alle Vorbehalte ausräumen können, zeigte sich in Zürich daran, dass man im Gottesdienst - mit Rücksicht auf Einwände nordamerikanischer Gäste - kein Abendmahl miteinander feiern konnte. Auch deshalb waren an der Zürcher Tagung Elemente von besonderer Bedeutung, bei denen es zu inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Position der Gegenseite (und damit immer auch der eigenen) kam.
So formulierte Hanspeter Jecker, Dozent am mennonitischen Theologischen Seminar Bienenberg, thesenartig Stärken und Schwächen des Täufertums als kritische Anfragen an die eigene und die reformierte Tradition. Als historische Stärken nannte er das freikirchliche Gemeindemodell gegenüber oft unguter landeskirchlicher Symbiose mit dem Staat, freiwillige Kirchenmitgliedschaft als Impuls in Richtung Glaubens- und Gewissensfreiheit, Mut zu Nonkonformismus aus der Überzeugung heraus, dass das Leben in Christus auch äusserlich sichtbar werde, die Schlüsselrolle der Gemeinde als Ort konkreter Versöhnung und Entscheidungsfindung, die Aufwertung des einzelnen Gemeindegliedes im Gedanken des Priestertums aller Gläubigen, neuartige Formen der Solidarität und die Verweigerung des Kriegsdienstes gegenüber unkritischem Absegnen militärischer Aktionen durch manche Staatskirchen.
Umgekehrt vermerkte Jecker als Kehrseiten dieser Stärken selbstkritisch einen täuferischen Hang zu Besserwisserei und Leistungsfrömmigkeit, zum Rückzug ins fromme Ghetto und zu einem traumatisierten Geist der Menschenfurcht.
Ruedi Reich nannte - neben Gefahren wie jener der Unverbindlichkeit - spezielle Chancen und Stärken der Volkskirche: etwa die Präsenz in Spitälern und Gefängnissen, aber auch an Bahnhöfen oder Flughäfen, oder die Einheit, die man im 19. Jahrhundert bewahren konnte, während sich Freikirchen immer wieder spalteten. Dabei habe man sich von allen Bekenntnissen getrennt und als Grundlage nur das "Evangelium von Jesus Christus" behalten, das man allerdings immer wieder in die eigene Kirche hineintragen müsse. Reich würdigte ausserdem die Ökumene, gerade auch mit den Katholiken, die gleichberechtigte Teilnahme der Frauen in der Landeskirche, die karitative Tradition der Reformation und die anhaltende Prägung durch die religiös-soziale Bewegung, so dass die soziale Frage eine kirchliche Frage bleibe.
Volkskirche oder Bekenntniskirche?
Unter dem Titel "Volkskirche oder Bekenntniskirche?" zeigte Pierre Bühler, Professor für Systematische Theologie und selber aus einer Täuferfamilie im Berner Jura stammend, thesenartig Felder für eine fruchtbare Diskussion zwischen Täufern und Reformierten auf. Dies in einer Situation, in der die reformierte Kirche, die aus der Tradition der Mehrheitskirche lebe, zunehmend mit den Schwierigkeiten einer Minderheitskirche konfrontiert werde, während die täuferische Kirche sich traditionell als Minderheitskirche verstehe, sich aber zunehmend den Herausforderungen der Mehrheitskirche - die sie selber allerdings nie sein werde - stellen müsse.
Dies zeigt sich für Bühler zum Beispiel im alten "Scheidungsgrund", der Frage von Erwachsenen- und Kindertaufe: Die reformierte Kirche entdeckt heute für sich die Erwachsenentaufe neu als Zeichen eines verbindlichen Einstehens für den Glauben; die Täufer dagegen beschäftigen sich mit der Möglichkeit einer Kinderdarbringung, also mit der Aufgabe, Familienleben in der modernen Welt in die Zusage der Liebe Gottes einzubetten.
Virulenter, so zeigte eine anschliessende Podiumsdiskussion, waren zwei weitere Punkte, die Bühler anführte: erstens die Frage der Mitgliedschaft. Die formale Regelung bei der Volkskirche, im Extremfall nur durch die Kirchensteuer, erlaubt zwar die Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche, bringt aber die Gefahr der Unverbindlichkeit mit sich. Eine auf freiwilligem Einsatz gegründete Mitgliedschaft dagegen kann Freiwilligkeit auch zum Zwang werden lassen. Für die Grossmünsterpfarrerin Käthi La Roche driftet die Landeskirche zu weit Richtung Unverbindlichkeit, wenn man ungetauft Mitglied und sogar konfirmiert werden kann. Ruedi Reich gab dagegen zu bedenken, dass eine solche, für andere Kirchen nur schwer verständliche Regelung gerade auf das Nebeneinander von Kinder- und Erwachsenentaufe in der reformierten Kirche zurückgehe und auf den Respekt vor der individuellen Entscheidung, auch des Pfarrers.
Das zweite Problem, das zu reger Diskussion Anlass gab, war die Frage des Verhältnisses der Kirche zu Öffentlichkeit und Welt. Die Täuferbewegung, so Bühler, wolle den Kontrast zur Welt zum Ausdruck bringen, gerate dabei aber in die Gefahr, den Rückzug aus der Welt zu privilegieren. Die Volkskirche wiederum vestehe sich als der Welt und Gesellschaft eng verbunden, komme aber dabei leicht in den Verdacht der Verweltlichung. Für Reich ist es "schlicht eine Tatsache, dass wir in die Welt verstrickt sind". Das sei keine Frage der Kirchengestalten. Die Grade der Abgrenzung verliefen heute quer zu den Kirchenformen: Staatskirchen, die wegen ihrer Verbindung mit dem Staat gescholten würden, seien oft kritischer als die Freikirchen.
Der Mennonitenpastor Ernest Geiser stellte bei den Täufern eine Tendenz fest, mehr gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen als früher; Bühler konstatierte dafür bei den Reformierten eine gewisse Müdigkeit in der Wahrnehmung des Wächteramts für Staat und Gesellschaft - was allerdings den Widerspruch von Käthi La Roche weckte. Die reformierte Kirche beziehe immer wieder klar Stellung.
Betonung der Gemeinsamkeit
Grundiert blieben solche Diskussionen zwischen Täufern und Reformierten während der ganzen Zürcher Tagung von der Betonung der Gemeinsamkeit. Der Historiker Urs B. Leu unterstrich die anfängliche Nähe der Täufer zu Zwingli; Larry Miller, der Generalsekretär der mennonitischen Weltkonferenz, erinnerte daran, wie viel die Täufer von Reformierten wie Barth, Moltmann oder Lukas Vischer gelernt hätten; Ruedi Reich ermunterte dazu, die Vielstimmigkeit der Tradition nicht nur als theologisches Problem zu sehen. Setri Nyomi, Generalsekretär des Reformierten Weltbundes, betonte die Chancen einer Verständigung auf lokaler Ebene, gerade auch aus der Warte afrikanischer Kirchen, die weniger von der Last einer schwierigen Vergangenheit mitschleppten. Und Thomas Wipf, Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, brachte das Verhältnis der Reformierten zur "radikalen Reformation" der Täufer in einer versöhnlichen Formel auf den Punkt, mit der ihm seine Eltern das Wesen mennonitischer Gastgeber erklärten: "Das sind auch Reformierte, aber einfach noch ein bisschen mehr als wir."
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