Willkommen auf der ARCHIV-Seite des Bullinger-Jubliäums vom Jahre 2004
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6 Thesen über Sinn und Unsinn von Versöhnungsevents

These 1: Die Erforschung und bessere Kenntnis der Geschichte der reformierten und täuferischen Kirchen und ihres Verhältnisses zueinander muss - gerade auch im Hinblick auf "Versöhnungsprozesse" - ermutigt und befördert werden! Dabei geht es nicht nur um historische Fakten, sondern auch um die damit verbundenen theologischen und geistlichen Dimensionen (Ringen um Wahrheit, Schuldigwerden aneinander etc.).

These 2: Die Motive für den Versöhnungsprozess können sehr vielfältig sein: Nicht alle sind gleich lauter und hilfreich, und nicht von allen sind wir selbst gleicherweise direkt betroffen - aber alle verdienen eine seriöse Prüfung.

These 3: Sich einzulassen auf einen echten offenen Versöhnungsprozess kann uns befreien zu einem glaubwürdigeren Christuszeugnis - die Stärken und Schwächen der eigenen Tradition neu zu entdecken und sie im Gespräch mit dem Partner und dessen Stärken und Schwächen zu einer neuen und besseren, vielleicht (und hoffentlich) auch gemeinsameren Synthese werden zu lassen.

These 4: Wenn "Versöhnungsprozesse" Sinn machen sollen, dann sollte es immer auch um theologische Inhalte gehen. Dabei kann Versöhnung durchaus auch dort geschehen, wo wir in einzelnen Fragen weiterhin nicht gleicher Meinung sind. Aber die Fragen, die damals zum Zerwürfnis geführt haben (vgl. mein Input vom Samstagmorgen!), sollten angesprochen und nicht unter den Tisch gewischt werden. Zumal dann nicht, wenn es uns nicht einfach "nur" um Vergangenheitsbewältigung und formale Schulterschlüsse geht, sondern um ein echteres und glaubwürdigeres Christuszeugnis.

These 5: Sich auch den eigenen Schwachpunkten zu stellen (bzw. der Diskussion darüber, was wir als Schwachpunkte ansehen!!!) beinhaltet das Potential zu Befreiung, Heilung und Erneuerung - aber auch das Potential zu neuen Zerwürfnissen und Spaltungen, für die es sensibel zu sein gilt. Beim Gespräch über und Aufarbeiten von Schwachstellen in der eigenen Tradition und Geschichte gilt es darauf zu achten, dass wir weder unsere eigenen Verletzungen, noch den Weg zu deren Heilung verallgemeinern. Was für die einen ein Schwachpunkt in der eigenen Tradition darstellt und schmerzhafte Verletzungen verursacht hat, kann für jemand anders vielleicht hilfreich gewesen sein. Darauf sollten wir sensibel sein, sonst drohen gutgemeinte Versöhnungsprozesse den Ansatz zu neuen gemeindlichen Zerwürfnissen zu haben. Gott kann und will auf vielerlei Weisen helfen und heilen und wir sollten dies in Anspruch nehmen und uns darüber miteinander freuen im Sinne von "Einheit in Vielfalt".

These 6: Versöhnungsprozesse werden nur dann gelingen, wenn wir miteinander im Blickfeld behalten, dass all unser theologisches Erkennen, all unsere geistlichen Erfahrungen und all unsere kirchlichen Lebens- und Frömmigkeitsformen bloss Stückwerk sind – und es (nach 1 Kor 13) letztlich durchaus auch sein dürfen. Gerade diese Einsicht würde uns frei machen, von anderen zu lernen und unser jeweiliges Anderssein weder als Bedrohung zu sehen noch es gegeneinander auszuspielen, sondern als kritische Herausforderung und hilfreiche Ergänzung füreinander und miteinander zu leben.

Hanspeter Jecker, Dozent am Theologischen Seminar Bienenberg

Diese Thesen wurden im Atelier 9 vorgetragen und diskutiert