1. Versöhnung
Versöhnung ist dort nötig, wo Menschen anderen Menschen Unrecht getan haben oder ein Konflikt zur Entzweiung geführt hat. Versöhnung hat zu tun mit Erinnerung. Solche Erinnerung wendet sich zunächst den (oft vergessenen) Opfern zu und sucht danach, dass ihnen zumindest nachträglich Recht geschieht. Sie wendet sich auch den Tätern zu. Voraussetzungen für Versöhnung sind, dass die Täter benannt werden, dass nach den Gründen der (Un)Taten gefragt wird, den (bis heute reichenden) Folgen, dass Bereitschaft zur Umkehr wächst und nach Möglichkeiten der Wiedergutmachung gesucht wird. Das Evangelium gibt den Opfern eine aktive Rolle. Ihr freiwilliger Verzicht auf Recht und Wiedergutmachung stiftet Versöhnung. In der Nachfolge des Sohnes geht die die Liebe dem Feind versöhnend entgegen. Versöhnung beinhaltet zudem eine Verpflichtung für Gegenwart und Zukunft und strebt danach, dass ähnliches nicht wieder geschieht.
Warum scheiterte 1956 die Anbringung der Gedenktafel am Wort Märtyrer? Warum fehlt auf der heutigen Tafel dieses Wort?
Warum werden außer Mantz und Landis keine Namen von Opfern genannt?
Warum fehlt auf der Gedenktafel ein Hinweis auf die Schreibtisch-)Täter?
2. Wiedergutmachung
Wiedergutmachung kann bestehen
- in wahrhaftiger Geschichtsschreibung. Nicht nur die Fachwissenschaftler sind gefragt, sondern die gesamte Palette gemeinde- und volkspädagogischer Arbeit. Überfällig ist eine faire Darstellung der Täuferbewegung in Religionsunterricht, schulischen Religions- und Geschichtsbüchern. Was eignet sich dafür besser als die Schritte zur Versöhnung?
- in materieller Entschädigung, Herausgabe geraubten/beschlagnahmten Täufergutes ist auch noch Jahrhunderten noch möglich und sinnvoll
- Schritten der Buße und der Versöhnung nicht nur von den Kirchen, sondern auch von Seiten des Staates.
3. Versöhnung des Unversöhnbaren?
Die ekklesiologischen und gesellschaftspolitischen Grundentscheidungen Zwinglis und Bullingers werden von heutigen reformierten Kirchen noch festgehalten. Die konstantinische Gestalt der Kirche und entsprechende Kirche/Staat-Beziehungen haben ein starkes Beharrungsvermögen, trotz zunehmend postkonstantinischer Verhältnisse. Die damaligen Positionen, die zur Verfolgung und Ermordung der Täufer geführt haben, lassen sich nicht versöhnen.
Täuferische Positionen finden sich jedoch heute auch in reformierten Kirchen: Gewaltfreiheit, Kriegsdienstverweigerung, Distanz zum Staat, Zweifel an der Kindertaufe, ein Verständnis der Kirche als Gemeinde der Glaubenden, wenn sie auch (noch) nicht offizielle Lehre sind. Zudem sind täuferische Positionen in vielen Mennonitengemeinden nur schwach vertreten. Unsere gemeinsame Tagesordnung ist die Nachfolge Jesu. Dazu dürfen wir uns gegenseitig ermutigen und einander herausfordern, konstantinische Irrwege zu verlassen.
4. Relativierung von Schuld?
Es handelt sich bei den Täuferverfolgungen um versuchten und teilweise vollendeten Ekklesiozid ein Verbrechen am Leib Christi. In seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen wurde Christus erneut ans Kreuz geschlagen. Schwierig finde ich die demgegenüber hier und da in Dialogdokumenten von mennonitischer Seite benannte täuferische Schuld. Sollen wirklich geistlicher Hochmut, innermennonitische Spaltungen u.ä. ins Verhältnis gesetzt werden zu Blutschuld und Ekklesiozid. Vernebeln solche Vergleiche nicht die ungeheure (kirchen)geschichtliche Dimension eines Verbrechens, dessen Folgen sich kaum ermessen lassen. Die kirchliche und gesellschaftliche Landschaft sähe anders aus, wären die Täufer damals nicht verfolgt worden.
5. Die eigentliche täuferische Schuld
Auch in meinen Augen gibt es durchaus täuferisch-mennonitische Schuld, die wir bekennen und Schritte der Umkehr, die wir gehen sollten. Die Flüchtlinge aus der Schweiz passten sich an; als Eintrittskarte ins Elsass, Pfalz, Kraichgau, Bayern lösten sie ein Ticket, das Missionsverzicht, Aufgabe der Gewaltfreiheit, Anpassung an bestehende Verhältnisse beeinhaltete.
Um zu überleben wurde die Radikalität der Märtyrer gedämpft. Mennonitengemeinden stehen heute vor der Aufgabe, sich neu und radikal dem Geist Gottes anzuvertrauen und nach neuen Möglichkeiten zu suchen, das Evangelium zu leben und zu bezeugen. Dazu brauchen wir gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit mit allen.
6. Die Vergebung der Opfer
Versöhnung hat Vergebung als Voraussetzung. Es sind die Opfer, die vergeben. An ihrer Stelle kann auch Gott vergeben, wenn die Opfer geografisch, historisch etc, nicht (mehr) erreichbar sind. Selbst wenn Opfer (noch) nicht vergeben wollen oder können, ist Gott legitimer Adressat der Bitte um Vergebung. Viele Täufermärtyrer gingen mit Worten der Vergebung oder Fürbitte für die Täter zur Hinrichtung. Zumindest berichten das zeitgenössische Zeugnisse und täuferische Historiographie. Sie nehmen damit Motive neutestamentlicher Märtyrerberichte auf. Jesus: "Vater vergib ihnen, sie wissen nicht was sie tun!" Stefanus: "Vater, rechne ihnen diese Sünde nicht zu!" Welche Bitte könnte stärker sein, als die des Opfers für seine Peiniger und Mörder? Angesichts der Fürbitte der Opfer, können wir als ihre biologischen und/oder geistlichen Nachfahren Vergebung und Versöhnung nicht verweigern. Andere Opfer konnten ihren Richtern und Henkern nicht fürbittend und vergebend begegnen. Doch sie blieben ihrem Herrn treu, indem sie im Angesicht von Folter und Tod auf Gewalt verzichteten und stellten die Rache Gott anheim (Röm 12).
7. Ein langer Prozess
Versöhnung angesichts schwerwiegender Verbrechen mit entsprechend langer Wirkungsgeschichte ist ein langer Prozess mit vielen Schritten. Wir dürfen dankbar sein für jeden bereits geschehenen Teilschritt. Gottes Geist schenkt uns Fantasie und Risikobereitschaft zum Überschreiten der Grenzen von Tradition und Herkommen. Er gibt uns offene Augen und Ohren, um auf den anderen zuzugehen auf dem Weg der Versöhnung. Wir begegnen uns auf dem Weg der Nachfolge des Sohnes.
Wolfgang Krauß, dmfk.menno.peace@t-online.de, http://www.dmfk.de
Diese Thesen wu den im Atelier 9 vo getragen und diskutiert.