Mit der Enthüllung der Gedenktafel für Felix Manz und weitere hier an dieser Stelle in der Limmat ertränkte Täufer wollen wir heute ein Zeichen der Versöhnung setzen. Es ist dem Stadtrat von Zürich (vertreten durch meine Person, notabene bewusst durch ein reformiertes Mitglied des Rates) darum ein aufrichtiges Bedürfnis an diesem Akt teilzuhaben. Und das Zeichen der Versöhnung zwischen ihm und den Täufern in aller Welt ist dem Stadtrat eigentlich ein doppeltes: Ein grösserers und ein kleineres.

Das grössere Zeichen der Versöhnung bezieht sich auf die Ermordung von Felix Manz und mindestens sechs weiteren Täufern. Aber es bezieht sich auch auf die Verfolgung und Vertreibung unzähliger Täuferinnen und Täufer in Zürich und Umgebung in reformatorischer und nachreformatorischer Zeit. Dieses Unrecht hat der damalige Rat von Zürich zu verantworten. Er fällte die Todesurteile, er ordnete die Verfolgungen an. Die reformatorische Kirche freilich lieferte ihm die nötigen vordergründigen Argumente dafür. Man braucht allerdings kein spezielles historisches Wissen sondern nur einwenig politisches Verständnis, um zu erkennen, dass diese Untaten nicht primär aus religiösen Gründen sondern aus Gründen der damaligen Staatsräson erfolgten. Einerseits konnte sich in den Augen des Zürcher Rates das reformierte Zürich angesichts der Bedrohung durch die katholischen Orte eine innere Spaltung der eigenen Bevölkerung nicht leisten, ohne das ganze Reformationswerk – und damit auch die Staatskirche – in Gefahr zu bringen. Anderseits vertraten die Täufer (fast 300 Jahre vor der französischen Revolution!) derart revolutionäre Gedanken bezüglich dem Verhältnis zwischen Bürger und Staat und der sozialen Frage, so dass sie die damalige feudale und ständische Obrigkeit nicht dulden konnte und wollte.

Das kleinere Zeichen der Versöhnung bezieht sich auf die Verweigerung das Stadtrates von Zürich bereits im Jahr 1952 diese Gedenktafel hier anzubringen. Dieser Entscheid (sieben Jahre nach der bitteren Erfahrung des Holocaust!) ist heute fast nicht nachvollziehbar. Darum gewähre ich einen kleinen Einblick in die noch geschlossenen Stadtratsarchive jener Zeit: In einem ersten Entscheid vom 25. Juli 1952 bewilligten die sechs anwesenden Stadträte (drei weilten in den Ferien) die Gedenktafel. In einem zweiten Entscheid vom 08. August 1952 hingegen lehnten wiederum sechs anwesende Stadträte (drei andere weilten in den Ferien) die Tafel endgültig ab. Die Diskussionen müssen heftig gewesen sein. Die entscheidende Frage ging offenbar darum, ob Menschen deren Reden und Tun sich einst gegen den Staat richteten (ob Felix Manz bzw. die Täufer das wirklich taten war keine Frage) heute eine Gedenktafel bekommen können.

Der heutige Stadtrat von Zürich führte keine Diskussion, ob eine Gedenktafel für Felix Manz und die anderen Täufer angebracht ist oder nicht. Zu sehr und zu schmerzlich erinnert er sich an die Ereignisse insbesondere des 20. Jahrhunderts, in welchem aus Gründen der Staatsräson verbrämt mit religiösen Argumenten in Europa und anderswo Millionen von Menschen zu Tode kamen. Zu nah sind ihm Tschetschenien, Afghanistan, Irak, Palästina, Sudan oder der Balkan, um nur einige Orte zu nennen, wo heute im Namen der Staatsräson und auch der Religion Krieg und tödliche Konflikte geführt und Menschen hingerichtet werden.

Gedenktafeln haben ja nicht nur den Sinn uns an Ereignisse in der Vergangenheit zu erinnern. Sie haben nicht nur den Sinn uns zur Versöhnung aufzurufen, wenn sie an begangenes Unrecht erinnern. Sie sollen uns auch den Weg in eine bessere Zukunft weisen. Im konkreten Fall soll diese Gedenktafel auch daran erinnern, dass Staatsräson und religiöse Konflikte sich nie über die Menschenrechte erheben dürfen.

In diesem Sinne bittet der Stadtrat von Zürich (als indirekter Nachfolger des damaligen Rates von Zürich, aber auch als Nachfolger des Stadtrates von 1952) die Täufer um Verzeihung für das an ihnen begangene Unrecht. Er hofft und setzt sich dafür ein, dass Gleiches oder Ähnliches nie mehr geschehen werde. Er streckt seine Hand aus zur Versöhnung, und er dankt Ihnen, wenn Sie sie ergreifen.


Namens des Stadtrates von Zürich
Stadtrat Robert Neukomm