Festakt zum 500. Geburtstag des Zürcher Reformators
Im Beisein von Bundesrat Moritz Leuenberger und zahlreicher weiterer Prominenz aus Kirche und Politik wurde gestern im Zürcher Rathaus im Rahmen der Abgeordneten-Versammlung des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes der 500. Geburtstag Heinrich Bullingers gefeiert. Mehrere Referate würdigten Leben und Werk des Zwingli-Nachfolgers. Im Anschluss wurde im Grossmünster ein Festgottesdienst abgehalten.
kid. Die Liste der Gäste aus dem In- und Ausland, die Heinrich Bullinger gestern im Zürcher Rathaus die Ehre erwiesen, ist lang. Die Anwesenheit von Vertretungen zahlreicher kirchlicher und politischer Gremien zeigte einmal mehr, dass Bullingers geringe öffentliche Bekanntheit seiner Bedeutung als Reformator in keiner Weise entspricht.
Heinrich Bullinger (15041575) wurde nach dem Tod Huldrych Zwinglis als dessen Nachfolger ans Grossmünster gewählt. Er wirkte während 44 Jahren als Vorsteher der Zürcher Kirche und hatte von dort aus breiten Einfluss auf die Konsolidierung der Refor-mation in der Schweiz und auch darüber hinaus.
Thomas Wipf, Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, betonte in seinem eröffnenden Grusswort, dass Bullingers Tätigkeit in Zürich den Grundstein legte für sein Ťnationales, europäisches und weltweites Wirken für die Weiterentwicklung des reformierten Protestantismusť. Und er fragte sich in der Folge, wie es Ťdazu kommen konnte, dass eine so reformiert weltoffen geprägte Schweiz heute ein eher verkrampftes Verhältnis zur Welt und zu Europa hatť.
Eine indirekte Antwort gab zunächst Bundesrat Moritz Leuenberger, der daran zweifelte, dass man die Zeiten vergleichen könne, schliesslich hätte Ťeine Reise von Zürich nach Bern damals länger gedauert als heute zur Uno nach New York, und der 'Clash' der Religionen habe damals in Kappel stattgefundenť. Und überhaupt: Politik sei letztlich halt etwas anderes als Kirche.
Oder doch nicht? Leuenberger wurde auf der Suche nach einem Brückenschlag schliesslich doch noch fündig. Und zwar in Bullingers ŤFürträgenť vor dem Zürcher Rat. Dass sich der Reformator immer wieder für sozialpolitische Anliegen eingesetzt hat, ist für Leuenberger auch heute bedeutsam: ŤTheologie und Kirche sind eine unverzichtbare Quelle von geistig-moralischen Grundlagen für das Zusammenleben der Menschen geblieben. Die Politik kann geistig-moralische Werte fördern, doch sie sich selber besorgen kann sie nicht.ť
Regierungsrat Markus Notter unterstützte diese Überzeugung in einem Grusswort der Zürcher Regierung: ŤDie Kirchen haben eine umfassende, kritische, wertebegründende und wertevermittelnde und damit integrative gesellschaftliche Funktion. Der Staat lebt von geistigen und ethischen Voraussetzungen, die er weder selbst schaffen noch garantieren kann.ť
Ruedi Reich, Zürcher Kirchenratspräsident, und Emidio Campi, Leiter des Instituts für Reformationsgeschichte an der Universität Zürich, betonten ebenfalls diese Verantwortung der Kirche für das Gemeinwesen. Nach der verlorenen Schlacht bei Kappel und Zwinglis Tod wollte der Zürcher Rat die Einmischung der Geistlichkeit in weltliche Dinge unterbinden. Bullinger nahm das Amt als Kirchenvorsteher jedoch nur unter der Bedingung an, dass der Verkündigung des Evangeliums keinerlei Beschränkungen auferlegt würden. Ruedi Reich: ŤDafür, dass Heinrich Bullinger dies durchgesetzt hat, ist ihm gerade in diesem Rathaus über die Jahrhunderte hinweg zu danken. Er hat sich eingesetzt für die Freiheit evangelischer Verkündigung, für das Wächteramt der Kirche auch gegenüber aller vermeintlichen Eigengesetzlichkeit von Politik und Wirtschaft.ť
Bischof Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, mochte diese Relevanz nicht bestreiten, aber unter dem Stichwort ŤKirche in der Zeitenwendeť immerhin erweitern. Er wies darauf hin, dass die Funktion des Wächteramts in den Erwartungen an die Kirchen heute eher zurücktritt, und zwar zugunsten der ŤBegleitung der einzelnen und der Familien an den Krisen- und Knotenpunkten des Lebens, der Zuwendung zu den Menschen in persönlicher oder sozialer Not und schliesslich der Eröffnung eines Raums zur Begegnung mit dem Heiligen.ť Zur Bewältigung dieser Aufgaben bedürfe es einer Erneuerung der Kirche und für diese wiederum einer klaren Theologie.
Im Anschluss an den Festakt wurde im Grossmünster ein Gottesdienst abgehalten. Generalsekretär Setri Nyomi überbrachte dabei ein Grusswort des Reformierten Weltbundes. Kirchenratspräsident Ruedi Reich hielt die Predigt. Festakt und Gottesdienst fanden im Rahmen der Abgeordneten-Versammlung (AV) des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK statt. Die AV ist die nationale Versammlung der reformierten Kir-chen und tritt zweimal jährlich zusammen. Die Sommer-Versammlung gastiert bis am Dienstag in Zürich.